Porträtfoto: Clemens Fabry

Tagebuch 4

Jetzt sind wir alle durch. Der Teenager hat als letztes Familienmitglied aufgegeben und das Virus willkommen geheißen. Seither verlagert er seine sozialen Kontakte auf „Discord“, das ist so in etwa das Facebook für Pubertiere. Dort chattet und telefoniert er mit seinen Freunden bis in die frühen Morgenstunden.

Corona fördert übrigens nicht gerade die Intelligenz. Mir fallen beim Sprechen Wörter nicht ein (beim Schreiben geht das zum Glück leichter). Fragt mich jemand etwas, dann muss ich nachhaken, weil ich gerade mal dem Gesprochenen nicht folgen kann. Und auch sonst vergesse ich so ziemlich alles, was man mir mitteilt. Zuerst habe ich mir Sorgen gemacht. Alzheimer? Demenz? In meinem Alter wäre das doch etwas verfrüht. Jetzt hat sich gezeigt, dass auch die übrigen Familienmitglieder durch die Covid-19-Infektion nicht viver geworden sind. Heute Früh stand der Göttergatte ratlos vor der Kaffeemaschine, die er zwei Minuten vorher eingeschaltet hatte. Er wusste nicht mehr was er eigentlich dort wollte. Kurz darauf meinte der Kleine: „Ich hab da eine Frage“. Ich wartete geduldig, willig diese zu beantworten. Leider ist ihm die Frage nicht mehr eingefallen. Der Teenager, der in Mathe wirklich eine Leuchte ist, scheiterte überhaupt gleich beim 1×1. Die Rechenaufgabe 9×4 bereitete ihm richtiges Kopfzerbrechen. Als der Rest der Familie deswegen schon lachend durch das Wohnzimmer kugelte, hat ihm der Kleine das Ergebnis verraten.

Ein Geschenk ganz lieber Freunde. Ein bisschen Helium ist auch nach fast vier Wochen noch drin.

Das andere Ergebnis hingegen konnte via QR-Code abgerufen werden. Da waren Denken und Intelligenz glücklicherweise nicht gefragt. Es handelt sich um den zweiten Corona-Test des Teenagers innerhalb weniger Tage – wieder positiv. Seit kurzem wird der sogenannte CT-Wert, der die Virenlast angibt, mitgeliefert. Der Wert ist leider gesunken – von 33 auf 30. Nicht wirklich dramatisch, weil beide Werte grenzwertig sind. Wäre der CT-Wert allerdings gestiegen, hätte das bestimmt seine Quarantäne verkürzt. Auch müsste jetzt nicht ein Teil seiner Klasse (nämlich nur die Schülerinnen und Schüler aus Niederösterreich, jene aus Wien sind offenbar weniger gefährdet sich zu infizieren…) in die Teststraße fahren. Die hatten bestimmt auch andere Pläne in den Herbstferien.

In Sachen „Contact Tracing“ haben wir inzwischen reichlich Erfahrung gesammelt. Die Telefonnummer der Schuldirektorin ist im Mobiltelefon eingespeichert. Der Elternvertreter wurde sofort informiert. Abgesehen von seinen Schulkolleginnen und Schulkollegen hatte der Große in den vergangenen Wochen ohnehin keinen engen Kontakt mit Menschen außerhalt seiner Familie. Zwischen Quarantäne und neuerlicher Quarantäne war er kaum in der Schule und auch da sozial nicht sehr aktiv. Der Kleine hingegen hat nach seinem positiven Test gleich die ganze Klasse (22 Kinder) inklusive Lehrpersonal und die gesamte Fußballmannschaft (an die 25 Kinder) mit den Trainern in Quarantäne geschickt. Sogar die halbe Nachbarschaft stand unter Hausarrest, weil er in den Tagen vor dem Test neben der einen Nachbarin gekocht und mit den anderen Nachbarn zum Sport gefahren ist.

Der Teenager steht nicht so sehr auf Quarantäne. Er empfindet sie als sinnlose Zumutung. Dass dieser Corona-Hausarrest auch wirklich überprüft wird, hat das Pubertier heute aber persönlich feststellen müssen. Gegen Mittag läutete es. Das kommt derzeit nicht so oft vor, denn freiwillig will uns irgendwie niemand besuchen. Jedenfalls standen zwei Polizisten mit FFP2-Maske vor unserem Gartentor und wollten den Teenager sehen. Als dieser sein Gesicht durch die Haustür steckte, waren sie auch schon wieder weg. Dabei wollte ich den beiden gerade noch einen Kaffee anbieten.

Sehnsüchtig habe ich heute auf die Post gewartet. Ein Kuvert mit Globuli sollte doch bei mir eintreffen. Wunschdenken! Nix da. Der Liebste meinte glatt, die Drogenpolizei hätte die Postsendung beschlagnahmt. Denn diese homöopathischen Arzneimittel kommen bestimmt direkt aus dem Darknet. Ja eh…

Jetzt hat mir der Göttergatte gerade mit dünner Stimme aus dem Krankenbett zugerufen. Er wartet nämlich seit einer Stunde auf seinen Kräutertee. Sorry, vergessen… Ich glaube, Corona macht blöd.