Corona-Tagebuch 1

Ich habe Corona. Die Seuche ist da, in mir und auch in einem Teil meiner Familie. Mein 11-jähriger hat sie vom Gitarre-Unterricht nachhause gebracht. Der Große nimmt zwar beim gleichen Lehrer Unterricht, er aber blieb verschont. Warum? Gutes Immunsystem würden so manche sagen. Das mag schon sein. Doch er und sein Vater (der übrigens auch nicht infiziert wurde) sind jene Familienmitglieder, die seit dem Frühling Probleme mit der Lunge haben. Beide sind Allergiker. Tolles Immunsystem…

Das Zusammenleben als Familie ist etwas anstrengend, wenn zwei zu den „Positiven“ und zwei zu den „Negativen“ gehören. Die „Negativen“ wohnen jetzt im Keller oder besser im Untergeschoss. Falls die beiden sich in das Obergeschoss zu uns „Positiven“ wagen, dann nur mit FFP2-Maske. Der Teenager nimmt seine Absonderung, wie die Behörde die Quarantäne nennt, besonders ernst. Er isst freiwillig im Stehen auf dem Balkon, damit er uns Infizierten nicht zu nahekommt.

Auf unserem Esstisch stehen Desinfektionsmittel und ein Blumenstrauß. Letzteren haben mir meine Arbeitskolleginnen und Kollegen liebenswerterweise zukommen lassen. Auf dem Kasten neben dem Esstisch liegen unsere Corona-Tagebücher. Wer jetzt erwartet, dass es da einen Überblick unseres Tagesablaufs nachzulesen gibt, irrt. Auf Anweisung der Behörde müssen wir täglich zweimal Fieber messen. Zusätzlich gibt es ein Kästchen für die Befindlichkeiten. Da steht dann wie der Tag so gelaufen ist. Husten – ja oder nein? Halsschmerzen – ja oder nein? Kurzatmigkeit – ja oder nein. Die Gesundschreibung der Kranken hängt von diesem Tagebuch ab. Die Informationen gehen dann via E-Mail an den Amtsarzt und an Prinz Philipp. Letzterer hat mir übrigens auch den Bescheid meiner Covid-19-Infektion zugestellt. Etwas hart sind die britischen Royals schon, wenn sie einen 99-jährigen bei der BH St. Pölten arbeiten lassen. Zählt der nicht zur Risiko-Gruppe?

Zum Tagesablauf gehört auch regelmäßiges Händewaschen. Die Handseife im Badezimmer neigt sich dem bitteren Ende zu. Meine Hände sind bereits so rau, dass ich die Küchen-Reibe bald bei „Willhaben“ einstellen kann. Das ist aber das geringste Problem.

Während der Kleine mal einen Nachmittag etwas schlapp war und mit leicht erhöhter Temperatur früh ins Bett gegangen ist, hat das Virus bei mir heftiger eingeschlagen. Dabei würden Mediziner bestimmt von einem „milden Verlauf“ sprechen. Dennoch sind auch die eher harmlosen Symptome „gar nicht lustig“, wie der Teenager das vor etwa 10 Jahren bezeichnet hätte.

Ich habe ununterbrochen Kopfschmerzen. Mein Körper fühlt sich an, als hätte ich einen Marathon bestritten. Luft bekomme ich auch wenig, wenngleich das vermutlich weniger von der Lunge kommt als von der verstopften Nase, die wiederum Folge des ständigen Lüftens ist. Einmal täglich spielt mein Bauch verrückt. Da krampft sich innerlich alles zusammen, als würden gleich die Wehen einsetzen. Meine Laune war auch schon mal besser – zumal die Vorstellung ein Virus im Körper zu haben, von dem nicht einmal Wissenschaftler allzu viel wissen, eher apokalyptisch als beruhigend ist. Ach, ja meine Augen jucken übrigens auch. Gar nicht lustig!

Das erste mal wieder für kurze Zeit auf den Beinen

Entspannung im Bett? Fehlalarm! Der Kleine macht im selben Zimmer Homeschooling. Das bedeutet, dass er von mir Expertise in Englisch, Biologie, Deutsch und Geografie erwartet. Bei Mathematik marschiert er mit seiner FFP2-Maske ins Untergeschoss zu seinem Vater. Dort sperrt sich dann der Teenager kreischend in sein Zimmer ein, weil die Seuche naht. Mein Mann erklärt dem Kleinen hinter der medizinischen Burka mit stoischer Ruhe das „kleinste gemeinsame Vielfache“ und andere Ausdrücke der hohen Mathematik, die auch ohne Covid-19-Infektion für mich wie ein Auszug der chinesischen Sprache klingen.

Gabriel und Franz beim Mathematik-Homeschooling

Abgesehen davon will der Kleine raus. Er macht Salti im Trampolin und er fährt unerlaubterweise mit dem Stunt-Scooter auf der Straße vor unserem Haus herum. Ich muss ihn immer wieder davon überzeugen, nur in Sichtweite zu bleiben. Funktioniert hervorragend. Ebenso toll klappt das Rücksicht nehmen. „Mama, backen wir heute einen Kuchen?“ „Mama, darf ich Fußball schauen?“ „Klar, meine Netflix-Serie ist ohnehin langweilig“. In der Fußball-Pause hört er Amy Winehouse. Der geht es viel schlechter als mir. Ihr Gesang ertönt nur noch aus unserer Alexa. Ich hingegen habe jetzt diesen Text geschrieben. Ob das Glas Gin Tonic, das mir dabei geholfen hat, meinen Beschwerden hilfreich entgegenkommt, wird sich dann morgen zeigen.

Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass der Gitarre-Lehrer inzwischen gesund ist? Er unterrichtet wieder in der Schule – meine Kinder lernen das Zupfen der Saiten jetzt via Handy.